Alle sprechen von Potenzialentfaltung, wir coachen uns die Seele aus dem Leib! In Seminaren und Workshops erfahren wir, wie wir führen, wie wir Arbeitsprozesse optimieren, miteinander kommunizieren, wie wir kreativ und innovativ sein können. Moderne Beratungsmethoden offenbaren unser Innerstes und fördern unsere Talente, denn sie alle wollen nur eins: Die Entfaltung unseres Potenzials.
Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von unserem eigenen Potenzial sprechen? Unsere Möglichkeiten? Unsere Talente? Unser Können? Durch meine Arbeit als Schauspielerin und Trainerin habe ich eine ganz konkrete Auffassung des menschlichen Potenzials. Für mich sind es nicht nur Begabungen oder bestimmte Fähigkeiten, über die ein Mensch verfügt – Potenzial ist auch die natürliche Existenz eines riesigen Schatzes an unterschiedlichen Eigenschaften, Charakterzügen und Vorlieben, den ein jeder von uns in sich trägt, entdecken und leben kann.
Das eigene Potenzial – der Zwang der Optimierung
Wenn wir von Potenzialentfaltung sprechen, denken wir häufig an eine zwangsläufige Optimierung unseres Lebens. Wir möchten die derzeitige berufliche Stellung ändern, das Ansehen verbessern, unsere Chancen begreifen und ergreifen. Wir sehen uns verpflichtet, unbedingt herauszufinden, wozu wir uns wahrhaftig berufen fühlen, um das Beste für uns herauszuholen und gehen damit von einer grundsätzlichen Unzufriedenheit, einem Missstand in unserem Leben, zumindest einem gewissen Spielraum aus, der noch ausbaufähig und verbesserungswürdig zu sein scheint. Geht es also immer nur darum, perfekt zu sein? Potenzialentfaltung wäre dann nichts weiter als ein Produkt unserer Leistungsgesellschaft – das klingt unnatürlich und wenig ansprechend.
Wir engen unser Blickfeld ein
Etymologisch bedeutet Potenzial erst einmal nur, dass überhaupt eine Möglichkeit besteht. Doch die Möglichkeit wozu? Den Begriff Potenzial verbinden wir meist mit den individuellen Möglichkeiten eines Menschen, die von den eigenen Fähigkeiten, aber auch der inneren Einstellung, den Lebensbedingungen, den einzelnen Erwartungen abhängen. Wer sind wir? Was können wir? Wo sehen wir uns? Es ist jedoch schwierig diese Fragen ehrlich zu beantworten, denn das würde voraussetzen, dass wir uns von unseren bisherigen Verhaltensmustern trennen, vielleicht sogar vom derzeitigen Lebensmodell verabschieden müssten.
Ziele, Erwartungen und Wünsche eines Menschen haben sich aber schon über einen langen Zeitraum und teilweise durch einflussreiche äußere Faktoren herausgebildet, z.B. durch die Wertevermittlung und -vorstellung der Eltern, so dass es viel Mut, Selbstvertrauen und gesunde Selbsteinschätzung benötigt, sich dem eigenen inneren Kern zu nähern. Wenn wir Potenzialentfaltung also nur mit den individuellen Möglichkeiten gleichsetzen, engen wir unser Blickfeld ein, weil wir nur von uns selbst ausgehen – und wir reduzieren damit automatisch die Anzahl der tatsächlich existierenden Möglichkeiten.
Eine Rolle spielen, ein Charakter sein
Ich möchte diese Grenzen aufbrechen und dabei das Sichtfeld erweitern. Mit meinem Konzept ManageActing on Stage bringe ich Menschen auf die Bühne, damit sie ihre Hemmungen spüren und überwinden, sich vor Publikum präsentieren und Präsenz zeigen können. Der wesentliche Kern meines Trainings ist jedoch ein anderer: Auf der Bühne verkörpern Menschen Rollen. Verschiedene Rollen zu spielen heißt, die ganze Bandbreite an menschlichen Eigenschaften und Charakterzügen zu erkennen, zu erarbeiten und schließlich ausüben zu können – denn darin liegt das Potenzial. Es ist das Privileg als Mensch, wählen zu können, um uns selbst eine Antwort auf die Fragen zu geben: Wer sind wir und wer wollen wir sein?
Der natürliche Drang der Selbstdarstellung
Wer sich in eine Rolle begibt, vermag Stärken und Schwächen, Eigenheiten und Besonderheiten dieses gespielten Charakters wiederzugeben, Erlebnisse und Umstände zu begreifen und Gefühle auszudrücken. Alle Menschen, ob Laien oder professionelle Schauspieler, können sich nicht nur in verschiedene Rollen hineindenken, sondern profitieren auch von solchen Schauspiel-Erfahrungen, denn das Rollenspiel ist tief in uns verwurzelt. Schon Plato hat den starken Darstellungsdrang des Menschen beschrieben, den er sogar als ähnlich ausgeprägt wie den Überlebensdrang angesehen hat.
„#Rollenspiel und Bühnenpräsenz helfen, Denkmuster zu durchbrechen. #Potenzialentfaltung“
Wir erobern als Kind spielerisch die Welt, erfahren Zuordnungen von „gut und böse“ in „Räuber und Gendarm“, verarbeiten Erlebtes in „Vater, Mutter, Kind“ und bereichern unser Leben durch imaginäre Freunde. Zum Menschsein gehört, sich in Rollen ausprobieren zu dürfen.
Doch, was in der Kindheit sogar noch gefördert wird – die Fähigkeit, sich in Rollen darzustellen und zu erfahren – lässt durch die Pubertät im Jugendalter allmählich nach und geht spätestens als Erwachsener nahezu ganz verloren. Rationale Aspekte und reale Bedingungen nehmen fortan den größten Platz in unserem Leben ein, Spielen gibt es nur noch bei „Monopoly“ und Fantasiereisen finden nur selten und in ganz besonderem Rahmen statt.
Zurück zu den Wurzeln, zum eigenen Ich
Als Erwachsener Rollen zu spielen heißt nicht, wieder in infantile Strukturen zu verfallen. Wer bewusst spielt, bewusst Rollen wahrnimmt, kann sich seinen spielerischen authentischen Selbstausdruck zurückerobern. Damit werden Varianten menschlichen Agierens erfahren, Nuancen und Möglichkeiten der persönlichen Darstellung geschärft und neue Perspektiven der eigenen Denkweise eröffnet. Wer diese Bandbreite menschlicher Eigenschaften erkennt, kann für sich wählen, welchen Charakter er für sich bevorzugt, d.h. mit Wohlgefühl, Authentizität und Überzeugung erlebt.
Die Rollenspiele, Improvisationsübungen und der große und ungewohnte Aktionsradius auf der Bühne geben den Teilnehmern Antworten auf die Frage, wer sie sind und wer sie sein wollen. Sie lassen sie häufig persönliche Gefühle oder Empfindungen wiederentdecken, die sie alle als Kind einst gelebt und verspürt, aber im Laufe ihres Lebens mit dem Erwachsenwerden und der fortschreitenden Anpassung ihres Wesens an unsere Gesellschaft verlernt oder unterdrückt haben.
Jeder hat das Potenzial!
Mir geht es nicht darum, dass Menschen etwas vorgeben, was sie nicht sind, sondern Rollen als Teil des Selbst zu erkennen. Rollenspiel und Bühnenpräsenz helfen, Denkmuster zu durchbrechen , sich in den verschiedenen Charakteren auszuprobieren und den Mut aufzubringen, die für sich passenden zu finden. Wir alle spielen gewissermaßen im Leben verschiedene Rollen, beruflich und privat, denn wir erfüllen bestimmte Funktionen, Anforderungen und Erwartungen. Wichtig ist nur das Bewusstsein darüber und dass wir diese Rollen unabhängig und in unserem Sinne gestalten. Wir können uns jedoch nur mit Charakteren identifizieren oder uns bewusst von ihnen distanzieren, wenn wir sie kennen, ausprobieren und mit unseren eigenen Werten und Gefühlen abgeglichen haben. Diese Erfahrung bietet die Bühne.
Jeder von uns sollte die gesamte Bandbreite an Möglichkeiten erleben, um frei entscheiden zu können, wer man am Ende wirklich sein möchte. Nur dann ist Potenzial tatsächlich mehr als nur eine Möglichkeit – und Potenzialentfaltung viel mehr als eine Pflichterfüllung innerhalb unserer Gesellschaft.